Das Zwhatt hat zwei Siedlungscoaches. Eine davon: Alexandra van Heerden. Was heisst das für die neuen Nachbar:innen?
1/6 Alexandra van Heerden ist eine der beiden Siedlungscoaches des Zwhatt-Areals.
Rätsel: Was arbeitet eine Frau, die mal hinter einer Bar steht, mal Spiele anleitet, mal Leute an einen Tisch bringt? Heute trägt Alexandra van Heerden Festbänke, Farbtöpfchen und Bastelanleitungen in den Längsbau, das erste fertiggestellte Gebäude auf dem Areal. Sie grüsst die Leute im Treppenhaus, ein Hallo wie zwei ausgebreitete Arme, und lädt sie zum Quartiertreff am Abend ein. Was braucht eine Nachbarschaft, damit sie lebt? An einem Sommertag wie heute sind es ein paar Getränke, ein paar Pizzas und Keramikbecher zum Anmalen. Ob die Mieter:innen erscheinen, weiss van Heerden noch nicht. Vielleicht kommt auch niemand, sagt sie.
Van Heerden bezeichnet sich selbst als Quartierarbeiterin, hier im Zwhatt wird sie Siedlungscoach genannt. Auf der einen Seite gibt es die Hardware: die Architektur. Sie und ihr Kollege Severin Piller sind jedoch für die Software zuständig, zumindest zu Beginn. Sie haben soziokulturelle Arbeit studiert, am liebsten treten sie in den Hintergrund. Sie machen Angebote, dann ziehen sie sich zurück. Gastgebende, die vor allem ihre Gäste glänzen lassen. Van Heerden fasst das Ziel ihrer Arbeit so zusammen: Dass Menschen die Geschichte ihres Ortes selbst schreiben.
Bei einer Siedlung wie Zwhatt, fast schon einem Stadtquartier, kann sie tief in die Werkzeugkiste greifen. Alles beginnt mit ihrer Lieblingsfrage: Was wäre, wenn? Wenn es zwischen dem alten und dem neuen Teil von Regensdorf Kisten mit Trottis und Kreiden gäbe, damit die Kinder hin und her flitzen und Spuren hinterlassen können? Wenn es im Zwhatt eine Eisbahn rund um die Häuser herum gäbe, die Nachbar:innen einander auf Kufen begegnen würden? Wenn die allgemeinen Räume rege genutzt würden, bespielt von Nachbar:innen, die Kleider tauschen oder ein Handwerk pflegen? Wenn es im grössten Gemeinschaftsraum Pingpong für alle gäbe? Heute Abend lautet die Frage: Was wäre, wenn die Leute einander näherkommen, während sie zusammen ein paar Schälchen bemalen? Und was wäre, wenn niemand auftaucht?
Dann würde van Heerden allein im Licht der Abendsonne sitzen, die Hochhäuser vor, den Längsbau hinter sich. All ihre Sachen wieder einpacken, Festbänke und Getränke im Lieferwagen nach Baden fahren, wo ihre Firma Itoba ein Materiallager hat, und dann gleich nach Hause, wo ihre Eltern sich um die beiden Kinder kümmern. Die Quartierarbeiterin ist 33 und lebt in einem Badener Quartier ohne Quartierarbeit, die Nachbar:innen wohnen schon lange hier, kannten sie bereits als Kind und dann als Jugendliche, die ihr erstes Geld mit Tanzunterricht für Kinder verdiente. Während van Heerden erzählt, kommen langsam die Pioniere im Zwhatt: die Ersten, die hier eingezogen sind. Van Heerden wird kurz zur Barista, dann zur Leiterin des Kurses Keramikmalen für Anfänger.
Die Nachbar:innen sind zwischen zwanzig und dreissig, arbeiten am Flughafen, für eine KI-Firma in Zürich, bei einem Hersteller von Laser-Geräten in Regensdorf oder leiten ein Café. Wie sie anstossen und sich austauschen, mal auf Englisch, mal auf Deutsch: So sehen Leute aus, die sich mögen, auch wenn sie gerade erst angekommen sind. Worüber sie sprechen, während sie Farben auftragen: Wie es wäre, mit dem Paddelbrett über den Katzensee zu gleiten. Dass der Umzug in die Schweiz eine Frage der Familienplanung war: ein besseres Gesundheitswesen und ein besseres Bildungssystem als in Bulgarien. Wie sie, die jeden Tag die Baustelle vor ihrer Tür sehen, sich auf die Bäume zwischen den Häusern freuen und aufs Kino unter freiem Himmel, das es hier vielleicht geben wird. Während sie sprechen, beschnuppern sich unter dem Tisch ihre Hunde: Chihuahua trifft Mops.
Van Heerden fragt in die Runde: Pizza oder Sushi? Später klappt sie die Schachteln auf und die Leute greifen zu. Bei jüngeren Menschen fällt wenig Arbeit für van Heerden an, gelegentlich sind ihre Aufgaben anspruchsvoller. Dann wird sie zu einer Art Mediatorin, die Wünsche der Bewohner:innen weiterleitet. Ab und zu fühlt sie sich wie eine Anwältin der Mieter:innen, dann wieder wie die Leiterin eines Kurses für Leute, die sich technisch nicht so auskennen. Sie spricht vom «Onboarding» – als wäre sie auch ein wenig Flugbegleiterin.
Beim Onboarding – auf Deutsch müsste man vielleicht ein anderes Wort für Eingliederung erfinden – geht es um die App, die das Zwhatt am Laufen hält. Sie bietet den Bewohner:innen alles, was sie brauchen. Mit der App öffnen sie die Türen, buchen die Gemeinschaftsräume, reservieren die Sauna, treten mit Nachbar:innen in Kontakt, teilen Werk-, Spiel- und Fahrzeuge. Auch der Mietvertrag ist hier hinterlegt, alles an einem Ort. Damit ältere Menschen sich wohlfühlen, führt van Heerden sie an ein Leben ohne Schlüssel heran, nur mit App und Airkey. Sie erklärt, wie die Verwaltung mit den Bewohner:innen spricht: Ankündigungen auf den Bildschirmen im Lift, Benachrichtigungen via App.
Man könnte ihren Beruf in Form von Kreisen darstellen, die sich überschneiden: teils geht es um Beziehungen in einzelnen Häusern, teils um die ganze Siedlung, gelegentlich schlägt sie Brücken zu Nachbarquartieren. Sie und ihre Kolleg:innen haben schon Siedlungsbiere gebraut, die Bewohner:innen in Fassadenbildern verewigt, Sommerfeste veranstaltet, zur Quartierpolonaise eingeladen. Van Heerden braucht Wörter wie: blockübergreifend, Durchlässigkeit, soziale Nachhaltigkeit.
Architektonische Fragen sind auch soziale Fragen: Woran gehe ich jeden Tag vorbei? Wie gut kann ich mich zurückziehen? Wie leicht komme ich mit anderen ins Gespräch? Ist die Bauweise einladend oder abweisend? Wenn die Nachbar:innen ihre Kinder von einem der zwei Kindergärten im Zwhatt abholen, wenn sie mit ihrem Mops durch die Promenade spazieren: In der grossen Fussgängerzone sind Begegnungen leicht.
Van Heerden will die Wahrnehmung von Räumen ändern. Heute Abend ist aus der langen Passage zwischen den Loft-Wohnungen eine temporäre Keramikwerkstatt geworden. Ziel ist das, was sie «Placemaking» nennt: Aus einem bislang anonymen Ort soll ein Quartier mit Charakter werden. Sie und ihre Kolleg:innen tun vor allem eines: zur Ko-Kreation einladen. Wenn man es an den Keramikschälchen misst, hat das heute Abend gut geklappt – alles so bunt hier. Irgendwann macht sich van Heerden auf den Heimweg, die Nachbar:innen reden bis in die Nacht hinein.
Was wäre, wenn? Eine ihrer Ideen hat van Heerden nur im Scherz erzählt. Was wäre, wenn es auf dem Dach einen frei zugänglichen Infinity-Pool gäbe? Dann würden die Leute jetzt wahrscheinlich noch kurz hochgehen und eintauchen. Doch den Pool gibt es, vorläufig, erst in der Fantasie.
Text: Florian Leu
Bilder: Désirée Good
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